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Müll sammeln statt am Limit laufen

Veröffentlicht am 10.01.2020 von Manuela Specker - Bildquelle: GettyImages
Müll sammeln statt am Limit laufen

Unbezahlt etwas Anderes wagen: So kann der Ausstieg aus dem Hamsterrad gelingen.

Matthias Böing (29) war als Unternehmensberater immer auf Achse, bis er die Koffer irgendwann gar nicht mehr ausgepackt hat. „Unfassbar gestresst“ sei er gewesen, erläutert er. Obwohl noch nicht einmal 30, kam er zum Schluss, dass es so nicht weitergehen kann. Böing stiess online auf eine NGO in Norwegen, die Strände vom Müll befreit – und entschloss sich kurzerhand, den Job zu kündigen, sich auf nach Norwegen zu machen und diese Art der Freiwilligenarbeit zu leisten, die so ziemlich dem Gegenteil seines einstigen Manager-Jobs bei Porsche entsprach.  Er ist überzeugt: „Ungefähr 60 oder sogar 70 Prozent spielen in der Business-Welt zumindest mal mit dem Gedanken, auszusteigen. Viele sind völlig überlastet“, sagte er gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“.  Er kann es sich gegenwärtig nicht vorstellen, nochmals in einem Grosskonzern zu arbeiten.

Chancen und Risiken des „Voluntourismus“
Den Mut auszusteigen haben längst nicht alle in jungen Jahren, nach Jahren des Studiums und wenn die Karriere an Fahrt aufgenommen hat. Auch setzt dieser Schritt natürlich voraus, genug verdient zu haben, um sich in einem unbezahlten Job auf andere Gedanken zu bringen. Ein Freiwilligen-Einsatz ist aber in der Tat ein gangbarer Weg, um dem Hamsterrad zu entfliehen und sich mit anderen Realitäten zu konfrontieren. Denn gerade wer diesen Schritt wagt, zieht es vor, in Strukturen Halt zu finden statt ziellos in den Tag hinein zu leben. Gleichzeitig sei aber auch davor gewarnt, dem Helfer-Syndrom zu erliegen und zu denken, mit einem Auslandeinsatz auf jeden Fall Gutes zu bewirken.

Das betrifft vor allem Einsätze in sogenannten Entwicklungsländern: Wenn Einheimische in den Projekten nichts zu sagen haben und sich stattdessen an den Interessen der Reisenden orientiert, verkommt der „Voluntourismus“, also die Kombination von Tourismus und Freiwilligenarbeit, die ja für die Reisenden nicht gratis zu haben ist, zur reinen Sinnsuche für Privilegierte – statt dass er sich an den Bedürfnissen vor Ort orientiert. Es kann sogar vorkommen, dass man mit dem bezahlten Einsatz lokale Arbeitskräfte konkurrenziert, die den Job genauso gut übernehmen könnten. Misstrauisch sollte auf jeden Fall machen, wenn der Veranstalter weder Lebenslauf noch Referenzen verlangt, beziehungsweise wenn die eigenen Kompetenzen keine Rolle spielen und man beispielsweise Englisch unterrichten kann, obwohl man selber die Sprache nicht wirklich beherrscht.

Fragestellungen, mit denen sich Matthias Böing als freiwilliger Müllsammler in Norwegen nicht auseinandersetzen muss. Sein Entscheid zeigt auch, dass so ein Einsatz nicht unbedingt am Geld scheitern muss: Er lebt sehr sparsam und hat keine Mehrausgaben, da für Kost und Logis gesorgt ist. Seine Empfehlung: Früh anfangen zu sparen und sich nicht an zu viele materielle Dinge binden – zum Beispiel an teure Leasingverträge. Auch soll man sich nicht schon im Vorfeld zu viele Gedanken machen, was danach kommt.  Er schwärmt von der Erfahrung, viel Zeit mit Menschen zu verbringen, die selbstlos für einen gemeinsamen Sinn arbeiten, ganz ohne monetäre Gegenleistung. „Früher war ich abends im Kopf leer, genervt und mein Körper hat nach Aufmerksamkeit geschrien. Jetzt ist es genau andersherum. Das fühlt sich sehr gut an“, berichtet er.

Anlaufstellen
Für internationale Freiwilligen-Einsätze kann www.workaway.info eine gute Inspirationsquelle sein. Es gibt aber auch in der Schweiz viele Gelegenheiten, sich zu engagieren – und somit auch nebenberuflich, denn nicht alle Interessierten sind in der Lage, längere Zeit ohne Einkommen zu leben. Benevol Schweiz beispielsweise, die Dachorganisation für Freiwilligenarbeit, betreibt die Schweizer Vermittlungsplattform für freiwilliges Engagement: www.benevol-jobs.ch.  Mit den 20 regionalen Fachstellen für Freiwilligenarbeit und rund 2000 angeschlossenen Organisationen besteht eine grosse Auswahl in Bereichen wie „Integration und Soziales“ oder „Bildung und Coaching“, um nur zwei Beispiele zu nennen. Eine andere Anlaufstelle ist das Schweizerische Rote Kreuz, die grösste Freiwilligenorganisation in den Bereichen Rettung, Gesundheit und Integration: www.redcross.ch