Verantwortung übernehmen ist eine wichtige Voraussetzung für gute Führungskräfte - und gar nicht so einfach.
Ein Pilot, der Angst hat vor dem Fliegen, sollte nicht Pilot werden. Ein Chef, der keine Verantwortung übernehmen möchte, sollte nicht Chef werden. So einfach wäre das. Und doch landen Menschen in Führungspositionen, deren Spezialität es ist, Entscheide auf die lange Bank zu schieben, bei Schwierigkeiten beide Augen zu schliessen und Fehler auf andere abzuschieben. Die Ursache solchen Verhaltens ist zutiefst menschlich: Es geht um die Angst, etwas falsch zu machen. Die amerikanische Marketing-Assistenzprofessorin Mary Steffel führte mit mehr als200 Personen sieben verschiedene Experimente durch, die sich darum drehten, wie sich Menschen verhalten, wenn es darum geht, Verantwortung wahrzunehmen. Dabei stellte sie eine interessante Parallele fest: Sobald es um unerfreulichere Aktivitäten ging, überliessen die Freiwilligen die Entscheidung jemand anderem, sofern sie nicht selber betroffen waren.
Anders schaute die Sache aus, wenn der Entscheid klar positive Folgen zeigte: Hier wollten die Probanden in jedem Fall die Fäden in der Hand haben. Mary Steffel konnte auf diese Weise ein klares Muster herausarbeiten: „Menschen wollen ein schlechtes Gewissen vermeiden – für den Fall, dass sie andere Personen mit ihrer Entscheidung auf den Holzweg schicken. Diese Sorgen werden verschlimmert durch die Angst, für eine falsche Entscheidung Konsequenzen zu tragen“, so die Marketingexpertin. Die meisten Menschen beschäftigte es offenbar stärker, die Schuld für schlechte Ergebnisse tragen zu müssen, als das Lob für gute Resultate einzuheimsen. Ein Muster, das auch in der Verhaltensanalyse von Anlegerinnen und Anlegern beobachtet wird: Verluste an der Börse fürchten sie bedeutend stärker, als sie sich über Gewinne freuen.
Die fehlende Entscheidungsfreudigkeit wird gerne mit der zunehmenden Komplexität erklärt. Das ist aber vor allem eine Ausrede: Rundumschlag-Begriffe wie Digitalisierung und Globalisierung müssen mittlerweile für alles Mögliche herhalten. Auch steigende Anforderungen an die Governance können nicht allen Ernstes vorgebracht werden, wenn es darum geht, Gründe für die Unlust zu finden, Verantwortung zu übernehmen. Es kann sich schlicht und ergreifend um Charakterschwäche halten.
Verantwortung übernehmen betrifft nämlich nie nur Sachfragen, sondern auch das Zwischenmenschliche. Unter der Annahme, dass die Führungskraft zuerst die Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt, erachtet es der Führungskräftetrainer Alexander Groth unter anderem als zentral, Mitarbeitende zu schützen, wenn sie Fehler gemacht haben. Chefinnen und Chefs sollten bedenken, „dass ein Teil ihres Gehalts Schmerzensgeld dafür ist, Verantwortung für die Fehler anderer zu übernehmen“, so der Autor des Buches „Der Chef, den ich nie vergessen werde“. Zu den Kernaufgaben zählt Groth, sich für die Entwicklung der anderen einzusetzen und ihnen Rückmeldung zu ihrer Leistung zu geben – gerade auch, wenn diese zu wünschen übrig lässt. Groth stellt in Unternehmen immer wieder fest, dass Vorgesetzte jenen Mitarbeitenden, die im besten Fall eine mittelmässige Leistung erbracht haben, im Jahresgespräch trotzdem eine wohlwollende Beurteilung geben - dem Frieden zuliebe. „Kommt dann eine Kostensparrunde, wird genau dieser Mitarbeiter als Erster entlassen, ohne dass er jemals die Chance gehabt hatte, sein Verhalten zu ändern.“
Verantwortung übernehmen setzt Rückgrat voraus, gerade auch, wenn es kriselt. Anstatt eigene Fehler auf andere abschieben, bedeutet Verantwortung für Führungskräfte, für Fehler von Mitarbeitenden aus dem eigenen Team gerade zu stehen. Es passiert aber auch das Gegenteil: Wenn Chefinnen und Chefs eigene Fehler auf die Mitarbeitenden abschieben. „Das ist natürlich ein schwaches Verhalten und zeugt von mangelnder Charakterstärke“, so Groth. Was einmal mehr zeigt: Der Ausbildungsrucksack und die bisherigen Erfahrungen alleine sind kein Kriterium, um zu entscheiden, wer sich für eine Führungsposition eignet. Mindestens so wichtig sind die Motive - geht es nur um die eigene Profilierung oder um das Interesse, andere Mitarbeitende zu entwickeln. Eine weitere Grundvoraussetzung, um ein guter Chef, eine gute Chefin zu werden: Man muss Menschen mögen und sich für sie interessieren.