Drei Jahre Arbeit für zehn Minuten Film: Die Animationsfilmerin Michaela Müller über eine Eigenschaft, die vom Aussterben bedroht ist.
Flughäfen sind für manche Menschen Orte des Aufbruchs und des Abenteuers, oder sie fliegen, um zum nächsten Businesstermin zu gelangen. Andere können nur davon träumen, jemals ein Flugzeug zu besteigen – weil sie den falschen Pass oder kein Geld haben. Und immer liegt ein Hauch von möglichen Katastrophenszenarien in der Luft. Strenge Kontrollen, Überwachungskameras, gehetzte Gesichter und monotone Durchsagen: In ihrem Animationsfilm „Airport“ hat es die St.Galler Filmemacherin Michaela Müller geschafft, exakt diese Atmosphäre auf die Leinwand zu zaubern.
Das Werk feiert Erfolge rund um den Globus und ist in diesem Jahr mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet worden. Dahinter steckt – natürlich – bedeutend mehr als Talent. Widmen wir uns deshalb einer Eigenschaft, die in der heutigen Berufswelt mit den ständigen Unterbrechungen zu einer Herausforderung der besonderen Art geworden ist: Disziplin. Sie setzt die Bereitschaft zum Verzicht voraus. Das fällt umso schwerer, je grösser die Ausweichmöglichkeiten und Ablenkungsmanöver sind. Manche haben mittlerweile sogar Mühe damit, eine halbe Stunde lang konzentriert an einer Sache zu arbeiten. Denn das erfordert Anstrengung, während jedes eingehende E-Mail oder SMS eine willkommene Abwechslung verspricht.
Viel Arbeit für eine Sekunde Film
Soviel ist klar: Mit dieser Einstellung würde Michaela Müller noch heute in ihrer abgedunkelten Zeichenkammer an der beleuchteten Glasplatte sitzen, wo sie mit einer Mischung aus Wasserfarben und Glycerin Bild für Bild malt. Wenn sie an einem Tag nonstop malt und sich nur eine Pause gönnt, weil der Hunger sich meldet, schafft sie etwa acht bis zwölf Bilder, was eine Sekunde Film ergibt. Ganze zwei Jahre dauerte alleine das Malen, aber auch die Vorarbeit nahm ein weiteres Jahr in Anspruch. „Als ich mit Malen begann, hatte ich den ganzen Film bereits im Kopf“, so Michaela Müller. Da sie zwischen der Schweiz und New York hin und her pendelt und bereits ihr erster Film „Miramare“ weltweit auf grosse Resonanz stiess, verbringt sie per se viel Zeit an Flughäfen und plante, als „Airport“ heranreifte, bewusst mehr Zeit an den Flughäfen ein, um zu beobachten und Informationen zu sammeln, auch mittels Fotos und eigens angefertigter Zeichnungen. Hinzu kamen zahlreiche Recherchen über Flughäfen und über die Flüchtlingspolitik.
Wenn sie dann einmal anfängt zu malen, taucht Michaela Müller in ihrem Atelier in die Szenerie ein, als wäre sie selber Teil von ihr. In dieser Phase heisst es dann auch: Kaum Verabredungen am Abend, da sie nicht nach einem äusseren Taktgeber funktionieren, sondern alles dem Rhythmus ihrer Schaffenskraft unterordnen will. Diese Disziplin kann nur jemand aufbringen, die exakt das macht, was ihrem Innersten entspricht. „Selbstbestimmtes Arbeiten ist für mich sehr wichtig“. Das bedingt, auch Zweifel und Unsicherheiten auszuhalten. „Als Künstlerin frage ich mich immer wieder: Interessiert das, was ich mache, überhaupt jemanden“? Die Durststrecke kann sehr lang sein, wie sich nicht zuletzt am Beispiel von „Airport“ zeigte: Drei Jahre Arbeit für zehn Minuten Film. Mit dem Projekt war sie aber insgesamt über sechs Jahre lang beschäftigt, da sie sich zwischendurch auch anderen Themen widmete. So arbeitete Michaela Müller während der „Airport“-Schaffensphase auch in Performance-Projekten, in denen sie live zu den Bewegungen einer Tänzerin auf eine Glasplatte malte. Dafür konnte sie anschliessend ihrem „Airport“-Animationsfilm mit einem neuen Blick begegnen und sich wieder in die Einsamkeit des abgedunkelten Ateliers zurückziehen.
Selber für Routine sorgen
Diese Disziplin, davon ist Michaela Müller überzeugt, lässt sich am besten aufbringen, wenn man seinem Tag eine gewisse Struktur gibt. So hat sie es sich angewöhnt, am Vormittag nach Draussen zu gehen, „das hilft mir, still zu sitzen und mich zu fokussieren.“ Typisch für Michaela Müller ist es auch, zu 100 Prozent bei der Sache zu sein. Als es darum ging, erste Weichen in der beruflichen Entwicklung zu stellen und sie sich noch nicht zu 100 Prozent sicher war, entschied sie sich immer für jene Variante, die ihr am meisten Wahlmöglichkeiten liess. Nach einem Vorkurs an der Kunstschule liess sie sich zur Zeichnungslehrerin ausbilden und arbeitete später als Requisiteurin am Luzerner Theater.
Mit dem ausgeprägten Interesse für Film und Malerei und ihrer Faszination für Kroatien war bald klar, in welche Richtung es sie ziehen würde: An die renommierte Akademie der Bildenden Künste nach Zagreb. Sich in einer komplett neuen Umgebung und ohne festes Einkommen zurecht zu finden, ging mit schlaflosen Nächten und existenziellen Ängsten einher. „Es braucht einen langen Atem. Aber wenn man ernsthaft etwas verfolgt, kann man darauf vertrauen, dass sich Türen öffnen werden“, glaubt Michaela Müller.