Fehlendes Talent-Management kommt Firmen teuer zu stehen.
Wie können Unternehmen ihre besten Mitarbeitenden halten? Mit einer Vorzugsbehandlung - und attraktiven Perspektiven.
Von Manuela Specker
Die Schweiz ist föderalistisch und demokratisch. Zwei Merkmale, die sich ganz tief auch in vielen Unternehmen verankert haben. Eine Nebenwirkung davon: Es besteht bisweilen die Tendenz, möglichst alle Mitarbeitende gleich zu behandeln – von Talent Management keine Spur. Gibt es einen Bonus, wird er einfach auf die entsprechende Anzahl Köpfe verteilt. Wird dem einen Bürokollegen eine Weiterbildung bezahlt, erhebt der andere wie selbstverständlich den Anspruch darauf, ebenfalls eine Weiterbildung finanziert zu bekommen. Und womöglich sind noch alle ständig lieb und nett miteinander. Bis das Unternehmen in glücklicher Harmonie untergeht, weil es an Zugpferden und Kämpfernaturen fehlt, die auch Veränderungen und Innovationen vorantreiben.
Das soeben beschriebene Arbeitsklima vertreibt die genannten High Potentials. Um begehrte Mitarbeitende in einem Unternehmen halten zu können, brauchen sie eine Sonderbehandlung. Sie leisten mehr – entsprechend haben sie auch den Anspruch, besser informiert zu werden und eine spezifische Förderung zu erhalten.
Der Unternehmer Jörg Knoblauch, Autor des Buches „Die Personalfalle“ unterscheidet zwischen A-, B- und C-Mitarbeitenden. A-Mitarbeitende ziehen den Karren, B-Mitarbeitende laufen nebenher und C-Mitarbeitende setzen sich oben drauf. In den meisten Firmen sei das Verhältnis 20-60-20. Er plädiert stark dafür, den Anteil der A-Mitarbeitenden zu erhöhen. Er schätzt, dass rund die Hälfte der B-Kandidaten mit der richtigen Förderung das Potenzial durchaus haben würden, sich zu Schlüsselmitarbeitenden zu entwickeln.
Das sei auch im Sinne der bestehenden Zugpferde. Denn irgendwann seien sie es leid, die Arbeit für andere erledigen zu müssen. Als Konsequenz daraus würden sie sich ein anspruchsvolleres Umfeld suchen, in welche sie auf andere motivierte Mitarbeitende treffen. Hart arbeitende Mitarbeitende haben nämlich den Anspruch, mit Leuten zusammenzuarbeiten, welche die gleiche professionelle Einstellung mitbringen. Firmen sind also gut beraten, wenn sie ihren Talenten mehr Aufmerksamkeit schenken und sie bevorzugt behandeln – ohne dabei freilich die Entwicklung der anderen zu vernachlässigen. Das muss sogar Teil der Strategie sein, um die A-Mitarbeitenden halten zu können.
Einer der Fehler, der am häufigsten begangen wird: Die besten Mitarbeitenden werden viel zu stark belastet. Alles bleibt immer an ihnen hängen, weil auf sie Verlass ist. So haben sie am Ende den Eindruck, für ihre exzellente Arbeit bestraft zu werden.
Der zweite Fehler: Fehlende Wertschätzung und ausbleibendes Feedback. Allzuoft wird davon ausgegangen, dass talentierte Mitarbeitende wegen ihrer selbstständigen Denk- und Arbeitsweise keine spezielle Anerkennung und schon gar keine Kritik brauchen. In Kombination mit einer latenten Überlastung ist das für viele Grund genug, zu einem Unternehmen zu wechseln, wo sie gehegt und gepflegt anstatt ausgenutzt werden.
Der dritte Fehler: Mitarbeitende werden für ihre Begabungen bestraft, indem sie keine neuen Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten erhalten. Das ist eine egoistische Haltung seitens der Unternehmen, denn damit soll einzig und alleine die Performance im aktuellen Job gesichert werden – zu gross ist die Angst, dass mit der Wegbeförderung die Lücke zu gross werden könnte. Gerade die besten Mitarbeitenden suchen aber immer wieder nach neuen Herausforderungen, Routine ist ihnen ein Graus. Ohne Entwicklungsmöglichkeiten werden sie bald das Weite suchen – dann ist die Lücke für das Unternehmen richtig gross. Kaum etwas kommt langfristig so teuer zu stehen, als wenn Top Performer zur Konkurrenz wechseln.
Ein professionelles Talent Management bedingt, dass Vorgesetzte erkennen, welches ihre besten Mitarbeitenden sind. Das wiederum setzt voraus, dass sie selber A-Kandidaten sind. Jörg Knoblauch beobachtet jedenfalls immer wieder, dass B-Chefs gar nicht erkennen können, was A-Mitarbeitende drauf haben – während A-Chefs sich dadurch auszeichnen, dass sie sogar Leute einstellen, die besser sind als sie. Das beste Talent Management knüpft deshalb bei den bestehenden Vorgesetzten an. Es ist nämlich längst kein Geheimnis mehr, dass gerade die exzellenten Mitarbeitenden oft nicht wegen der Firma, sondern wegen Unzufriedenheit mit dem direkten Vorgesetzten kündigen.