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Ausgesteuert und doch angeheuert

Veröffentlicht am 27.03.2016
Ausgesteuert und doch angeheuert
Auch Langzeitarbeitslose können den Weg zurück ins Erwerbsleben finden
Die Arbeitslosigkeit ist noch immer mit grossen Tabus behaftet. Das macht die Situation für Betroffene umso schlimmer.
 
Von Manuela Specker

Eine Hiobsbotschaft jagt die andere, das Streichen von Stellen ist zum Normalfall geworden. Vor allem in der Industrie, dem Handel und dem Gastgewerbe ist die Talsohle noch lange nicht durchschritten – der Frankenschock hat seine volle Wirkung auf dem Arbeitsmarkt noch nicht entfaltet. Da ist es nicht mehr weit zur Frage: Wann bin ich der Nächste?
Plötzlich ohne Job zu sein gehört nämlich zu den grössten Ängsten, welche die Menschen in diesem Land haben. Die Arbeitslosigkeit rangiert im Sorgenbarometer der Credit Suisse regelmässig auf den ersten drei Rängen. Die Arbeitslosenquote ist gegenwärtig mit 3,7 Prozent zwar vergleichsweise tief – aber das macht paradoxerweise die Situation für die Betroffenen umso schlimmer. Entscheidend ist nämlich immer auch der Vergleich: Empirische Untersuchungen zu Langzeitarbeitslosen zeigen, dass deren Zufriedenheit markant ansteigt, wenn sie das offizielle Pensionsalter erreicht haben. Betroffene müssen als Rentner nicht mehr mit dem Makel der Arbeitslosigkeit leben.
 
Trotz der Selbstverständlichkeit, mit der Stellen abgebaut werden, ist die Arbeitslosigkeit noch immer mit grossen Tabus behaftet. Fast alle kennen jemanden, der schon mal die Stelle verloren hat, aber kaum jemand steht dazu, selber schon einmal betroffen gewesen zu sein. In Lebensläufen wird eine solche Phase gerne kaschiert mit „freischaffend“ oder „auf Weltreise“. Denn ein Jobverlust kratzt immer auch am eigenen Ego. Je stärker zudem die Arbeit zur Identifikation und damit zum Selbstwertgefühl beiträgt, umso drastischer wirkt sich ein Stellenverlust auf die Betroffenen aus.

Ganz entscheidend ist, wie das direkte Umfeld darauf reagiert. „Wo Arbeitslosigkeit flächendeckend stigmatisiert, tabuisiert oder katastrophiert wird, wächst der Druck auf die Betroffenen. Das beeinträchtigt wiederum ihre psychische Gesundheit“, sagt der Soziologe Benjamin Rogge. Die mit der Arbeitslosigkeit oft verbundene finanzielle Unsicherheit ist dabei ebenfalls nicht zu unterschätzen: Wer nur noch ein unregelmässiges oder gar kein Einkommen mehr hat, empfindet dies als Verlust der Kontrolle über das eigene Leben. Angespanntheit, Angst und Stress lassen die Betroffen sogar zu mehr Schmerzmedikamenten greifen, wie eine aktuelle Untersuchung der University of Virginia zu Tage förderte. Auch andere Studien lassen keine Zweifel an diesem Zusammenhang offen: Gesundheitliche Schwächen werden von Arbeitslosen als wesentlich gravierender eingestuft als von Menschen, die im Arbeitsprozess stehen.

So nimmt der Teufelskreis seinen Lauf – im schlimmsten Fall bis hin zum Ausgesteuert sein. Dann fehlt es nicht mehr nur an sozialem Austausch und an Sinnhaftigkeit, es bleiben auch plötzlich die Taggelder aus. Die Ausgesteuerten tauchen nicht einmal mehr in der Statistik zum Arbeitsmarkt des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) auf. Bis zu 3000 Personen werden in der Schweiz monatlich ausgesteuert.

Es gibt aber Hoffnung: Der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt kann gelingen, allerdings oft zu einem hohen Preis. So stellte das Bundesamt für Statistik in einer Analyse von 2014 fest, dass die Mehrheit der Ausgesteuerten früher oder später wieder erwerbstätig ist. 49 Prozent haben bereits im ersten Jahr nach der Aussteuerung wieder einen Job. Sieben von zehn Ausgesteuerten finden innerhalb von fünf Jahren wieder eine Stelle. Sie müssen dafür aber oft einen Berufswechsel oder Lohneinbussen in Kauf nehmen. Während der Bruttolohn für Arbeitnehmer im Schnitt (Medianlohn) 36.20 Franken beträgt, sind es bei ehemals Ausgesteuerten, die wieder eine Arbeit gefunden haben, 27.50 Franken.  Ehemals Ausgesteuerte verdienen nicht nur weniger, sie arbeiten im Vergleich zum Durchschnitt häufiger auf Abruf oder temporär. Auch müssen sie sich öfter mit Teilzeit-Stellen abfinden, obwohl sie Vollzeit arbeiten wollen.
 
Eine gewisse Prekarisierung ist also nicht wegzudiskutieren. Und doch ist das immer noch die bessere Alternative, als den Rest des Lebens ohne Arbeit zu sein. Aus der Glücksforschung ist hinlänglich bekannt, dass ein Job auch das Gefühl vermittelt, gebraucht zu werden. Bleibt dies aus, kann dies verheerende Folgen für das eigene Selbstwertgefühl haben, bis hin zu Depressionen, Alkoholismus oder gar Suizidgedanken.  Eine fehlende Berufsausbildung sowie mangelnde Sprachkenntnisse sind nach wie vor die grössten Hürden, um wieder einen Job zu finden.

Foto: Thinkstock