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Mehr Konzentration, bitte! // Fit im Kopf

Veröffentlicht am 26.07.2016
Mehr Konzentration, bitte! // Fit im Kopf
Die ständigen Ablenkungen durch Smartphone und Internet verändern unser Gehirn – und damit die Art und Weise, wie wir arbeiten.   Von Manuela Specker
Das Multitasking hat keine Fürsprecher. Zu erdrückend sind die Beweise, dass das menschliche Gehirn nicht dafür geschaffen ist, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. Was aber gerne übersehen wird: Die ständigen Unterbrüche, denen Mitarbeitende am Arbeitsplatz ausgesetzt sind, haben viele längst unfreiwillig zu lausigen Multitaskern gemacht. Der Rhythmus hat sich sozusagen ins Gehirn eingebrannt.
 
Das kann jeder an sich selber beobachten. Wer sich an Unterbrüche gewöhnt hat, diese aber für einmal ausbleiben, sorgt gleich selber für Ablenkung, weil sein Gehirn darauf programmiert ist. So werden alle fünf Minuten die E-Mails gecheckt, obwohl gar keine dringende Nachricht erwartet wird. Oder man klickt sich online von Seite zu Seite, obwohl keine spezifischen Informationen gesucht werden. Der Publizist Nicolas Carr bringt es treffend auf den Punkt: „Das Netzt scheint die Fähigkeiten zur Konzentration und Kontemplation zu zerstören.“
 
Carr gehörte zu den ersten, welche die Frage aufwarfen, wie das Internet unser Denken verändert. „Google macht uns dumm“, behauptete er 2008 und musste dafür harsche Kritik einstecken. Das Internet, so seine Gegner, sorge vielmehr für eine Demokratisierung des Wissens, indem es jederzeit und gratis verfügbar ist. Heute zeigt sich, dass Carr so falsch nicht lag und die Bildungsrevolution ein frommer Wunsch blieb. Um die Fülle der Informationen, die in rascher Abfolge konsumiert werden, zu verarbeiten, bildet das Gehirn nämlich andere Verknüpfungen – zulasten des Langzeitgedächtnisses. Wissenschaftler sprechen von „kognitiven Kosten“. Das liegt nicht am Internet selber, sondern an der Art und Weise, wie es genutzt wird. Exzessiv, mit schnellen Seitenwechseln und einem orientierungslosen Durchklicken. Statt in die Tiefe zu gehen, reizt die Informationsfülle, lediglich an der Oberfläche zu kratzen.
 
Hirnforscher aus Braunschweig konnten in einem Experiment nachweisen, wie sich zu viele Informationen im Gehirn konkurrenzieren. Es ist reiner Zufall, welche Information langfristig gespeichert wird. Lassen wir uns ständig ablenken, gehen also wichtige Informationen verloren, und das Gehirn kann das Wichtige nicht mehr vom Unwichtigen unterscheiden. Kommt hingegen nur eine Information auf einmal an, können die Gedächtnis-Moleküle das Gelernte gut in der Synapse verankern.
Wie sehr sich das Gehirn den veränderten Umständen anpasst, zeigt auch eine Untersuchung an Taxifahrern von London: Jene, die ohne Navigationsgerät durch die Strassen fahren, verfügen über eine grössere Gehirnregion im Hippocampus als jene, welche sich den Weg digital anzeigen lassen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem digitalen Informationsstrom. Das ständige Switchen geht zulasten des Tiefgangs und verändert das Funktionieren von Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Carr hat das an sich selber beobachtet: Er war nicht mehr in der Lage, konzentriert ein ganzes Buch zu lesen. Seine Lösung: Alle Internetverbindungen kappen, um sich wieder vertieft mit einer Sache auseinandersetzen zu können.

Doch solche Gewohnheiten zu durchbrechen, ist einfacher gesagt als getan. Die permanenten Ablenkungsmanöver knüpfen nämlich direkt ans Belohnungszentrum im Gehirn an. Auf dem Internet zu surfen oder Fernsehen zu gucken verlangt wenig Effort. Das scheint für den Moment vielversprechender und weniger anstrengend, als sich beispielsweise in ein Buch zu vertiefen oder ein Instrument zu spielen. So berauben sich die Menschen freiwillig eines Gefühls, das für grosse Zufriedenheit sorgt: den Zustand des Flows, der einen selbstvergessen einer Arbeit nachgehen lässt, um am Ende zufrieden auf das Ergebnis zu blicken. Die Gewohnheiten zu durchbrechen braucht eiserne Disziplin – und ein Bewusstsein dafür, dass sich ein Gehirn durch seinen Gebrauch permanent ändert.

Jeder hat es in der Hand, für mehr „Flows“ in der täglichen Arbeit zu sorgen:

- Die Internetverbindung vorübergehend kappen und das Mobiltelefon in den Flugmodus stellen

- Ganz bewusst auch einmal nichts tun und Musse zulassen. Es ist kein Zufall, dass die besten Ideen oft unter der Dusche oder beim Sport kommen. In diesen Situationen arbeitet das Gehirn im Hintergrund weiter. Wer ständig Ablenkung sucht, beraubt sich dieser Möglichkeiten

- Ziele definieren: Sich vornehmen, bis wann eine bestimmte Aufgabe erledigt sein soll. Wer sich einen Anfang und ein Ende gibt, kann seine geistigen Ressourcen besser einteilen. Hilfreich dafür sind auch „To-do-Listen“: Können erledigte Aufgaben abgehakt werden, aktiviert dies das innere Belohnungssystem, nach dem sich das Gehirn so sehr sehnt.

- Genug schlafen: Schlafdefizite beeinträchtigen die Konzentration, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit.

Fotoquelle: Getty Images