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Ein Fall für zwei

Veröffentlicht am 30.01.2017
Ein Fall für zwei
Topsharing erfordert ein Umdenken – in Firmen, aber auch bei Führungskräften   Von Vera Sohmer
Jobsharing wird als Arbeitsmodell der Zukunft beschrieben (siehe Beitrag an dieser Stelle vom 1. Januar). Doch wie schaut es mit geteilten Jobs auf Führungsebene aus? Sie sind noch selten, aber langsam im Kommen. Dies zeigt eine erste nationale Studie zum Thema.
 
Der Verein Part Time Optimisation und die Fachhochschule Nordwestschweiz haben dafür rund 400 Unternehmen mit 180 000 Angestellten befragt. 27 Prozent gaben an, bereits Jobsharing-Modelle eingeführt zu haben. 28 Prozent von ihnen bieten geteilte Stellen auf unterer Kaderstufe an.  Auf mittlerer und oberer Kaderstufe verfügen 19 Prozent dieser Betriebe über geteilte Angebote. Zwei der Beweggründe dafür: Hochqualifiziertes Personal mit guten Arbeitsbedingungen im Betrieb halten und Frauen bessere Aufstiegs-Chancen ermöglichen.
 
Das Prinzip der geteilten Verantwortung kennt man zudem seit jeher in KMU und Familienbetrieben. Der Ehemann auf der Baustelle, die Ehefrau in der Buchhaltung – viele Betriebe würden ohne eine solche oder ähnliche Aufgabenteilung nicht funktionieren. Das Modell ist also weiter verbreitet als angenommen.
 
Die Praxis zeigt darüber hinaus: Wer in einer grösseren Firma Führungsaufgaben mit jemandem teilen will, muss dafür meistens selbst die Initiative ergreifen. Die wenigsten tun dies laut der Erhebung bislang, obwohl der Wunsch nach Teilzeit da wäre. Wer nach Topsharing fragt, stösst durchaus auf offene Ohren, muss aber gut darlegen können, wie man sich das Modell im Detail vorstellt und organisieren will.
 
Anfangs dürfte die Führung im Doppelpack kritisch beäugt werden. Entsprechend hoch ist der Erfolgs- und Erwartungsdruck. Damit es funktioniert, raten Experten zu einer praxistaugliche Regelung. Etwa aufgeteilte Fachgebiete, geklärte Zuständigkeiten, einen „Schichtwechsel“ mit sich überschneidenden Zeitfenstern.
 
Wichtig ist ebenfalls ein gut informiertes Umfeld. Ein Führungs-Tandem sollte als solches wahrgenommen werden und kommunizieren, wer wofür zuständig ist. Ebenfalls braucht es die volle Unterstützung der Unternehmensleitung. Sie muss sich zum Modell bekennen.
 
Jene Firmen, die sich für Topsharing entschieden haben, sehen laut der Studie vor allem einen Vorteil: Sie profitieren auf höherer Hierarchieebene bei einer einzelnen Stelle von doppelter Kompetenz. Hält sich das Tandem gegenseitig auf dem Laufenden und spricht sich untereinander ab, trifft es breiter abgestützte und damit tragfähigere Entscheidungen.
 
Die Arbeitgeber werten es zudem als positiv, eine Vollzeitstelle mit zwei Personen zu besetzen, die ansonsten für Teilzeit nicht in Frage gekommen wären. Es sei denn, man hätte in Kauf genommen, dass die Teilzeit-Führungskraft nur an bestimmten Tagen präsent ist.
 
Mit Topsharing sind offenbar zwei Dinge auf einmal zu erreichen: Der Chefposten ist permanent besetzt und gleichzeitig ist der Wunsch nach reduzierten Pensen erfüllt. Kein Wunder geben die Kaderleute an, im Teilzeit-Job zufriedener zu sein. Zudem wird ihnen eine höhere Produktivität attestiert. Punkte, die einen häufig genannten Nachteil aufwiegen können: Der grössere Aufwand und die damit verbundenen höheren Kosten.
 
Geteilte Führung braucht mehr Zeit. Denn sie klappt nur, wenn sich die Partner systematisch aufdatieren. Nicht nur dann, wenn der andere nach seinem freien Tag wieder im Büro ist, sondern auch, wenn beide an Bord sind. Das Tandem legt dann idealerweise auf den Tisch, welche Entscheidungen im jeweiligen Fachgebiet gefällt wurden oder diskutieren bei Unklarheiten wie es weitergehen könnte. Und bei Fachbereichen, die sich die Partner teilen, können sie sich im Tagesgeschäft entlasten: wenn der eine vor einem Berg Arbeit sitzt und der andere gerade mehr Luft hat.
 
Topsharing setzt nicht nur die Bereitschaft des Arbeitgebers voraus. Führungskräfte müssen umdenken, sprich: Macht abgeben können. Nur so schaffen sie es, einander zu vertrauen – eine Grundvoraussetzung für geteilte Verantwortung. Wer Angst habe, an Einfluss zu verlieren, zu wenig Anerkennung zu bekommen, dem anderen den Erfolg missgönne, sei fürs Tandem untauglich, betont Albrecht Schönbucher, Sozialpädagoge und Betriebswirtschaftler.
 
Er teilt sich die Geschäftsführung des Vereins Jugendarbeit Basel seit mehreren Jahren mit Elsbeth Meier Mühlemann, Sozialpädagogin und Organisationsentwicklerin. Ihre Devise: Darauf setzen, dass der andere seine Sache gut macht. Wie in einer Zweierseilschaft am Berg.

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