Der berufliche Umstieg schreckt viele ab. Doch je nach Branche sind Quereinsteiger heiss begehrt.
Von Manuela Specker
Quereinsteiger sind keine Exoten mehr. Das zeigt vor allem die Entwicklung bei den jungen Leuten: Mehr als 50 Prozent aller Lehrabgänger arbeiten Jahre später nicht mehr auf dem erlernten Beruf. Trotzdem macht ein beruflicher Umstieg vielen Menschen Angst – zu Recht, sind doch damit viele Unsicherheiten und oft auf finanzielle Einbussen verbunden. Was sind die Voraussetzungen, damit der Umstieg gelingt? Die Chancen sind überall dort am grössten, wo es entweder noch keine spezifischen Ausbildungen gibt oder wo akuter Personalmangel herrscht.
Branchen, in denen es an Personal mangelt, haben den Wert der Quereinsteiger schon lange erkannt und entsprechende Ausbildungsgänge kreiert. Jüngstes Beispiel ist die Ausbildung zum Pfarrer: Wer zum Beispiel in Bern auf dem zweiten Bildungsweg Theologie studiert, erhält von der Kirche ein Stipendium, das so manchem Umsteiger diesen Weg überhaupt erst ermöglicht. Im Gegenzug verpflichten sich die Absolventen, mindestens fünf Jahre lang als Pfarrer zu arbeiten. Auch die theologischen Fakultäten der Universitäten Zürich und Basel bieten seit letztem Herbst ein Theologiestudium für Quereinsteiger an – in den nächsten Jahren werden mehr Pfarrer pensioniert als ausgebildet.
Das Unterrichtswesen buhlt schon länger um Quereinsteiger. Dort zeigt sich aber auch, dass sich die Umsteiger keinen Illusionen hingeben dürfen: In einer Umfrage der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz gab ein Viertel des dritten und fünften Semesters an, einen schwierigen Berufsstart erlebt zu haben, unter anderem auch wegen des hohen Arbeitsaufwandes. Ein ähnliches Bild präsentiert sich im Kanton Zürich, wo die Studierenden unter der Doppelbelastung von Theorie und Praxis ächzen.
In der Informatikbranche scheint es gegenwärtig zu viele Quereinsteiger zu haben, die lediglich über eine Schnellbleiche verfügen und die bei grösseren Veränderungen, die in der Informatik an der Tagesordnung sind, unter die Räder kommen dürften. Quereinsteiger sollten deshalb keinen Aufwand scheuen anstatt den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Denn sobald der Arbeitsmarkt dreht, sind jene ohne systemisches Grundwissen im Nachteil.
Zum Hindernis kann nicht nur mangelndes fachliches Branchenwissen werden. Auch unterschiedliche Firmenkulturen sind nicht zu unterschätzen: In einer Grossbank geht es anders zu und her als in einer Uhrenfabrik, die Umsteiger treffen auf ganz andere Charaktere und Arbeitsbedingungen.
Ein Berufswechsel will also gut überlegt sein. Noch immer werden Quereinsteiger gerne als Patentrezept angepriesen, den Fachkräfte-Mangel zu beheben. Doch solange Angebot und Nachfrage nicht übereinstimmen, bleibt das eine Illusion. Wer keinen der Berufe wählt, in denen mit speziellen Ausbildungsgängen um Quereinsteiger gebuhlt wird, hat einen besonders steinigen Weg vor sich. Das Beratungsunternehmen Personal Total hat die Stellen-Inserate untersucht, die 2014 in 184 verschiedenen Print- und Online-Medien geschaltet wurden. Nur gerade 1,2 Prozent richteten sich explizit an Quereinsteiger. Die geradlinige Karriere ist nach wie vor Trumpf: Firmen versprechen sich von einem solchen Lebenslauf eine gewisse Sicherheit und eine geringere Einarbeitungszeit.
Quereinsteiger werden im Gegenzug gerne unterschätzt. Denn ein Richtungswechsel im Lebenslauf steht auch für Offenheit und Flexibilität, und nicht selten bringen Quereinsteiger neue Perspektiven in verkrustete Strukturen. Weil es für einen Richtungswechsel in der Karriere zudem einen gewissen Effort braucht, sind sie oft hochmotiviert und können zusätzlich auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Doch das müssen sie den Firmen erst einmal begreifbar machen können. Ob der Quereinstieg gelingt, hängt also nicht nur vom anvisierten Beruf oder der Marktsituation ab, sondern auch davon, ob in der Firma ein innovativer Geist herrscht.
Bei allen Stolpersteinen, die im Weg stehen mögen: Auf einen neuen Beruf umzusatteln oder die Branche zu wechseln ist immer noch besser, als bis zu seiner Pensionierung unglücklich im angestammten Arbeitsgebiet zu verharren.
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