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Falsch besetzt

Veröffentlicht am 09.08.2015
Fehlbesetzungen kosten viel Zeit und Nerven - myjob.ch
Firmen lassen sich in der Rekrutierung viel zu schnell von Abschlüssen blenden
Fehlbesetzungen kosten viel Zeit und Nerven – ganz zu schweigen vom Produktivitätsverlust. Was läuft schief in der Rekrutierung?
 
Von Manuela Specker

Der Kandidat machte in den Bewerbungsgesprächen eine gute Falle. Auch seine Unterlagen waren makellos, der Lebenslauf geradezu vorbildlich und die Diplome beeindruckend. Und trotzdem entpuppt er sich nach einem halben Jahr als Leerlauf. Der Mann geht sogar freiwillig, nachdem er sehr viel Unruhe ins Team gebracht hat.
Die HR-Verantwortlichen kratzen sich verwundert am Kopf – wie nur hatten sie sich täuschen können? Immerhin wurde der Kandidat drei Mal auf Herz und Nieren geprüft, inklusive Assessment.
 
Das Problem ist schnell auf einen Nenner gebracht: Die Verantwortlichen lassen sich von Abschlüssen und Diplomen blenden. Ob aber der Mensch mit seiner Persönlichkeit und Arbeitseinstellung auch in die Firmenkultur oder ins Team passt, diese Frage wird ob der Verblendung durch Diplome gar nicht mehr gestellt.
 
Solche Tendenzen zeigen sich bereits bei der Suche nach Lehrlingen: Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm vom Institut für Bildungsfragen in Bern konnte in einer Untersuchung nachweisen, dass die Gründe für den Lehrlingsmangel auch bei den Firmen selber liegen. So setzen sie falsche Schwerpunkte in der Rekrutierungsstrategie. «Wer stark oder ausschliesslich auf das Niveau des Schulabschlusses setzt, schränkt den Kreis potenziell guter Bewerberinnen und Bewerber stark ein und nutzt das Potenzial in keiner Art und Weise aus“, kommentiert dazu Stamm.
 
Eigenschaften wie Motivation, Frustrationstoleranz  und Stressresistenz lassen sich nun mal nicht in Noten messen. Jene Firmen, die den Einstellungsentscheid nicht einfach von den Schulnoten abhängig machen und stattdessen das ausserschulische Engagement der Bewerber höher gewichten, sind interessanterweise erfolgreicher in der Rekrutierung.
 
Von Vorteil ist laut der Untersuchung von Margrit Stamm auch, wenn Firmen kontinuierlich die gleiche Anzahl Lehrstellen anbieten und wenn sie Präsenz markieren, sei es mit einem Stand an Berufsmessen oder mit einer engen Zusammenarbeit mit Schulen. Auch die Möglichkeit zum Praktikum sowie Informationstage wirken sich positiv auf den Rekrutierungsprozess aus.
 
Diese Erkenntnisse lassen sich durchaus auf die Rekrutierung von erfahrenen Berufstätigen übertragen: Auch dort sind Firmen bei der Mitarbeitersuche erfolgreicher, die eine aktive Haltung einnehmen und sich verschiedene Kanäle zunutze machen anstatt ausschliesslich Stelleninserate zu schalten und passiv zu schauen, welche Bewerbungen eintreffen.
 
Der Fachkräfte-Mangel ist also bis zu einem gewissen Grad hausgemacht, weil sich Unternehmen von vorneherein einschränken. Eine Bank beispielsweise, die bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften nur solche mit ökonomischen oder juristischen Hintergrund berücksichtigt, lässt sich viele Talente entgehen. „Es ist nicht anzunehmen, dass Naturwissenschaftler, EDV-Spezialisten, Ingenieure oder Sprachwissenschaftler ausserstande wären, die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben“, meint Eberhard Schöbitz in seinem Buch „Die Rekrutierung von Führungsnachwuchs bei Banken.“ Eine Erweiterung der Rekrutierungsressourcen auf andere Fachgebiete bringe langfristig mehr Couleur in die Führungsstrukturen und helfe vermutlich auch, die Innovationsfähigkeit zu verbessern.
 
Das Personaldienstleistungsunternehmen Robert Half weist auf weitere klassische Fehler in der Personalrekrutierung hin: Stellenanzeigen, die viel zu allgemein gehalten sind, Saläre, die nicht marktkonform sind oder Kandidaten, die zu lange hingehalten werden: „Sprechen Sie ein Angebot aus, sobald Sie einen Favoriten
identifiziert haben. Sie riskieren sonst, Ihren Wunschkandidaten an die Konkurrenz zu verlieren“, empfiehlt der Personaldienstleister in seiner Broschüre „Gute Wahl!“.
 
Sven Hennige, Senior Managing Director bei Robert Half, betont, dass sich die Einstellung eines falschen Mitarbeiters heute viel stärker auf den Unternehmenserfolg auswirke als früher. „Der Beitrag eines einzelnen Mitarbeitenden zum Erfolg eines Unternehmens wird häufig unterschätzt. Insbesondere dann, wenn dieser eine Schlüsselfunktion innehat, die nicht einfach zu ersetzen ist.“ Die erneute Personalsuche koste Zeit, und wichtige Aufgagen blieben womöglich unerledigt. Zudem leide die Motivation im Team unter unpassenden Kollegen. Von 100 durch Robert Half befragte Manager beklagt mehr als die Hälfte den Produktivitätsverlust als schwerwiegendste Konsequenz falscher Personalentscheidungen, weitere 27 Prozent wiesen auf die Unruhe im Team hin und damit verbunden die sinkende Arbeitsmoral.

Foto: Thinkstock