Die Berufsberaterin Andrea Egli über die Kunst, die Berufswahl geschlechterneutral zu gestalten
Das Mädchen möchte Pflegefachfrau und der Bub Informatiker werden: welche Faktoren die Berufswahl beeinflussen und was das mit Weihnachtsgeschenken zu tun hat.
Von Manuela Specker
Frau Egli, ist es vor dem Hintergrund der späteren Berufswahl ungeschickt, wenn man der Tochter auf Weihnachten eine Puppe und dem Sohn ein ferngesteuertes Auto schenkt?
Andrea Egli*: Entscheidend ist, wie die Familie lebt und welche Meinungen im Umfeld herrschen. Das prägt die Kinder von klein auf.
Aber Weihnachtsgeschenke können durchaus Ausdruck sein von geschlechterstereotypischen Vorstellungen?
Die Mehrheit denkt tatsächlich in solchen Kategorien. Entsprechend gibt es Vorstellungen, was typische Männer- und Frauenberufe sind. Gegen dieses tief in der Gesellschaft verwurzelte Denken können Kampagnen, welche die jungen Leute zu einer „geschlechtsuntypischen“ Berufswahl ermuntern möchten, leider nicht viel ausrichten.
„
Männerberufe“ und „Frauenberufe“ sind also eine soziale Konstruktion?
In dieser Absolutheit würde ich das nicht formulieren. In Berufen beispielsweise, in denen sehr viel Kraft erforderlich ist, finden sich alleine aufgrund der physischen Voraussetzungen mehr Männer. Wenn aber eine Frau die Voraussetzungen mitbringt, körperlich hart zu arbeiten, soll sie das auch tun können.
Was für Konsequenzen hat es für die spätere Laufbahn, wenn sich jemand gegen seine Interessen entscheidet, um den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen?
In der Regel folgt nach der ersten noch eine zweite Berufswahl. Es kommt unabhängig von der Geschlechterfrage immer wieder vor, dass jemand erst mit 30 oder noch später realisiert, einen Beruf auszuüben, der nicht den eigentlichen Interessen entspricht. Die Jugendlichen müssen sich hier ja sehr früh für eine Richtung entscheiden.
Und das ausgerechnet in der Pubertät, also mitten in der Identitätsfindung.
In dieser Phase wirken die Normen in einer Gesellschaft besonders stark. Darum ist es wichtig, dass die Jugendlichen in ihrem persönlichen Umfeld darin bestärkt werden, den eigenen Interessen nachzugehen. So gesehen spielen Kampagnen wie „Rent a stift“ eben doch eine wichtige Rolle: Lehrlinge, die einen sogenannt „geschlechtsuntypischen“ Beruf ausüben, präsentieren sich in der Schule. Langfristig bewirken solche Massnahmen, dass die Betroffenen über ihren eigenen Weg nachdenken, wenn sie sehen, dass es immer wieder Menschen gibt, die aus den stereotypen Rollenbildern ausbrechen. Es braucht mehr Vorbilder.
Was müsste noch getan werden, um das Denken in Geschlechter-Kategorien aufzubrechen?
In der Phase der Berufswahl laufen ja schon einige Kampagnen, ebenso in den Schulen und Hochschulen. Es müsste aber generell viel früher angesetzt werden – also bereits in Spielgruppen oder im Kindergarten. Vor allem sollte das persönliche Umfeld einbezogen werden. Ich stelle allerdings fest, dass viele junge Leute, die in die Lehre kommen, wieder traditionell denken.
Inwiefern?
Indem junge Frauen die Einstellung mitbringen, nicht zu viele Weiterbildungen zu machen, weil sie ja sowieso bald heiraten werden und dann der Mann das Geld heimbringt. Viele von ihnen erleben in ihrer Familie, in der Mutter wie Vater berufstätig sind, dass die meiste Hausarbeit doch an den Frauen hängenbleibt, und dass dies mit enorm viel Stress verbunden ist.
Ein Ausdruck davon, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz nach wie vor schwierig ist?
Ja, aber nicht nur. Ich bin mir zum Beispiel nicht sicher, ob es immer stimmt, wenn Männer sagen, dass sie im Beruf nicht reduzieren können, oder ob es nicht vielmehr eine Ausrede ist. Mit den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist die klassische Rollenverteilung für viele die bequemste Variante – zum Preis der finanziellen Abhängigkeit der Frau.
Darum ist es auch nicht unproblematisch, wenn Frauen sich vor allem für „frauentypische“ Berufe entscheiden?
Ja, denn in diesen Berufen sind sowohl Lohn wie Anerkennung besonders tief. Nur schon deshalb wäre ein Ausgleich erstrebenswert. Es geht aber um eine Verteilung von 50:50. Das wäre vollkommen unrealistisch und kann nicht das Ziel sein. Wenn ein Mann nicht in einem Pflegeberuf arbeiten möchte, ist das in Ordnung. Aber jener, der darin seine Berufung sieht, darf nicht in seinem Weg durch gesellschaftliche Normen und Erwartungen behindert werden. Dafür braucht es ein Umfeld, das den Jugendlichen ein gesundes Selbstvertrauen mit auf den Weg gibt und sie in ihren Begabungen fördert, unabhängig von irgendwelchen Rollenvorstellungen. Im Hinblick auf Weihnachten heisst das: es als selbstverständlich erachten, wenn das Mädchen keine Puppe, sondern einen Werkzeugkasten möchte. Vielleicht hat die spätere Berufwahl eben doch auch etwas mit Weihnachtsgeschenken zu tun.
*Andrea Egli ist Berufs- und Laufbahnberaterin. Sie präsidiert profunda-suisse, den Verband der Fachleute für Laufbahnentwicklung.