Nie ist der berufliche Veränderungswille so gross wie zu Jahresbeginn. Trotzdem verharren die meisten das ganze Jahr hindurch in ihrer Situation. Wie gelingt ein Umstieg?
Von Manuela SpeckerIn seinem Coaching-Alltag begegnet Tom Diesbrock dem immer gleichen Widerspruch: Menschen wollen sich beruflich verändern – und trotzdem klammern sie sich mit beiden Händen an die gegenwärtige Jobsituation fest. „Unser Gehirn vermeidet das Unklare, weil es die damit verbundenen Risiken überschätzt“, lautet eine der Erklärungen von Diesbrock. Anstatt Veränderungen anzupacken, finden die Betroffenen erst einmal allerhand Ausreden. Dazu gehört die Annahme, dass sie nur das können, was in ihrer aktuellen Stellenbeschreibung steht – anstatt sich zu überlegen, wie sie ihre Kompetenzen ausbauen oder wie sie diese in anderer Form einsetzen können. Die „Veränderungswilligen“ denken oft auch, durch Einkehr und Grübeln den neuen Traumjob zu finden. Das ist, wie Tom Diesbrock treffend vergleicht, wie Schachspielen ohne Brett und ohne Figuren. „Es ist ein Märchen, dass irgendwann der Traumjob auftaucht, wenn man genug intensiv in sich hineinspürt.“ Ebenso sinnlos ist es, Aus- und Weiterbildungen zu beginnen, ohne zu wissen, wohin diese führen sollen.
In eine ähnliche Richtung zielt der Laufbahn-Coach und Prozessbegleiter Marco Zaugg. „Wir denken oft in Entweder-Oder-Kategorien. Manchmal besteht der Weg auch darin, im bestehenden Job Veränderungen anzupacken und zu einer neuen Einstellung zu finden. Es ist ein Märchen, dass sich der Erfolg von alleine einstellt, wenn man nur den wahren Beruf gefunden hat.“ Mache man sich einmal auf den Weg, würden sich neue Perspektiven öffnen, die vorher nicht ersichtlich waren. Wer hingegen immer im stillen Kämmerlein grüble, drehe sich im Kreis. Zu viele Ängste aber schränken ein, die Ideen können nicht fliessen.
Zentral sei, sich davon zu lösen, es allen andern recht machen zu wollen, sondern sich zu fragen, was einen persönlich fasziniert. Bei welchen Tätigkeiten fangen unsere Augen an zu leuchten, sind wir ganz in uns versunken und vergessen die Zeit? Dabei geht es gerade nicht darum, sich mit der Idee eines „Traumberufes“ zu blockieren, sondern kleine Veränderungen anzupacken - und sei es nur, einen anderen Arbeitsweg einzuschlagen, eine einmonatige Auszeit zu nehmen oder einen Teamwechsel anzustreben. Man sollte sich also lösen von den Vorstellungen eines vermeintlichen Traumjobs, der sich in der Realität nämlich oft nicht so präsentiert, wie man sich das vorstellt. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man nur einmal mit Menschen sprechen, welche die entsprechende Tätigkeit ausüben.
Veränderung ist nicht gleichzusetzen mit einem radikalen Wechsel. Tom Diesbrock empfiehlt, sich nicht an konkrete Jobprofile zu klammern, sondern sich vielmehr zu fragen, wie man seine Interessen und Kompetenzen einbringen kann – und vor allem wo. Die Frage nach den Rahmenbedingungen ist bei einem Veränderungswunsch ganz zentral. Wer in einer grossen Firma mit starken Hierarchien arbeitet, wäre vielleicht bei einem KMU mit direkten Entscheidungswegen besser aufgehoben. Mit anderen Worten: Oft ist nicht ein anderer Job die Lösung, sondern müssen lediglich die Umstände geändert werden, beispielsweise einen neuen Vorgesetzten oder ein anderes Umfeld. Eine gelungene berufliche Veränderung setzt also ein überlegtes Vorgehen voraus, anstatt aus Unzufriedenheit alles über den Haufen zu werfen – zumal die meisten ja auch Verpflichtungen in irgendeiner Form haben.
Vor allem aber müssen sich die Betroffenen fragen, ob tatsächlich der Job die Quelle der Unzufriedenheit ist, oder ob nicht etwas anderes dahinter steckt. Oft erwarten wir nämlich einfach zu viel vom Berufsleben: ein guter Lohn, nette Arbeitskollegen, permanent interessante Aufgaben. Karrierecoaches machen immer wieder die Erfahrung, dass die Ratsuchenden ihren Job viel zu negativ sehen. Nicht selten passiert es nämlich, dass einem die Vorzüge des alten Jobs erst nach einem Wechsel bewusst werden. Wer also unter einem Montagmorgen-Blues leidet, muss deshalb noch lange nicht die ganze Jobsituation hinterfragen. Die Zeit für eine Veränderung ist vor allem dann angebrochen, wenn die Frage, ob man den Job auch in fünf Jahren noch machen will, klar verneint werden muss.
Foto: Thinkstock