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Es ist zum Haareraufen - Aussehen

Veröffentlicht am 28.10.2012
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Nebensächlichkeiten wie das Aussehen können für das berufliche Fortkommen entscheidend sein. - von Manuela Specker -
Der Rekrutierungsprozess ist ein rationales Verfahren, lautet die gängige Meinung. Doch auch Äusserlichkeiten spielen eine Rolle. Gute Chancen können sich Männer mit Glatze ausrechnen. Der Management-Professor Albert Mannes stellte nämlich etwas Eigenartiges fest, nachdem er sich seine dünner werdenden Haare abrasiert hatte: Er wurde von seinen Teamkollegen plötzlich mit mehr Respekt behandelt. Der Wissenschafter ist nun dieser diffusen Wahrnehmungsverschiebung in einem Experiment auf den Grund gegangen. Er wertete die Reaktionen auf Porträts von Männern aus, die den 344 Teilnehmenden einmal mit Haare und einmal – digital wegretouchiert – ohne Haare gezeigt wurden. Die vermeintlich Glatzköpfigen wurden dabei als deutlich dominanter, grösser und stärker wahrgenommen.

Es versteht sich von selbst, dass die Frisur nicht das alleinige Kriterium hinsichtlich Karrierechancen ist. Doch das Experiment führt vor Augen, dass der Karriereweg nie nur von erbrachten Leistungen abhängt. Es geht vielmehr darum, wie diese Leistungen wahrgenommen werden. Wenn einem Glatzköpfigen von vornherein mehr zugetraut wird, kann er auch einfacher punkten.

Dass der Einfluss des Aussehens auf die Karriere nicht unterschätzt werden darf, weiss die emeritierte Betriebswirtschaftsprofessorin Sonja Bischoff. Seit Mitte der 80er-Jahre führt sie regelmässig Befragungen unter Führungskräften durch. Zu Beginn ihrer Langzeitstudie werteten nur gerade sechs Prozent das Aussehen als entscheidend für den Berufseinstieg. Mittlerweile sind es über 30 Prozent. «Kein anderer Faktor hat in diesem Ausmass zugelegt wie das Aussehen», stellt Sonja Bischoff fest. Sie steht mit diesen Resultaten nicht allein da.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage der New Yorker Universität Syracuse unter 1400 Personalchefs in den USA und England ergab, dass äusserlich attraktive Menschen schneller einen Job finden. Der Zusammenhang von Schönheit und Erfolg beschränkt sich nicht nur auf den Berufseinstieg: Auch bei Beförderungen oder beim Lohn haben Studien gezeigt, dass das Erscheinungsbild – und dazu kann auch die Körpergrösse gehören – unterschwellig eine Rolle spielt. Eine Zunahme der Bedeutung von äusserlichen Faktoren widerspiegelt letztlich eine Gesellschaft, die dem Fitnesswahn erlegen ist. Einst verkörperte jener den Idealtypus eines Chefs, der sich mit seinem dicken Bauch kaum aus dem Sessel erheben konnte und dazuZigarre rauchte.

Heute gehört es für Manager zum guten Ton, sich zum Marathon zu bekennen. Das symbolisiert Dynamik und Willensstärke, während Übergewicht mit Trägheit und Willensschwäche identifiziert wird. Tübinger Wissenschafter haben Personalentscheidern Fotos von Menschen in einem ähnlichen Alter und mit einem ähnlichen sozioökonomischen Status vorgelegt. Übergewichtigen wurde dabei viel seltener ein prestigeträchtiger Beruf zugetraut.

Die Wahrnehmung von Äusserlichkeiten ist offensichtlich nicht wertfrei, sondern mit Assoziationen verknüpft. Diese Verzerrung hat Auswirkungen bis hin zum Lohn. «Die vom anderen wahrgenommene Schönheit bringt materielle Vorteile auf dem Arbeitsmarkt», stellt das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) nüchtern fest. Der Lüneburger Professor für Arbeits- und Personalökonomie Christian Pfeifer mutmasst, dass gut aussehende Menschen oft selbstbewusster sind, was sich auch auf ihre Produktivität auswirken könnte.

Allzu sehr sollte sich niemand auf seine Schönheit verlassen, und dies nicht nur, weil sie vergänglich ist. Für Frauen kann sie nachteilig sein. Der Ökonom Bradley Ruffle wies nach, dass unter bestimmten Umständen Männer, die der Bewerbung ein attraktives Foto beilegen, viel eher zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, nicht aber die Frauen. Besonders schöne Frauen wurden am wenigsten häufig kontaktiert. Den Grund für die Diskrepanz zwischen Frauen und Männern sieht der Forscher im Neid. Er stellte nämlich fest, dass attraktive Frauen vor allem dann ignoriert wurden, wenn die erste Personalauswahl nicht extern, sondern in der Firma und von Frauen getroffen wurde.

Das sagt weniger über das Klischee eines «Zickenkriegs» aus als über die tatsächlichen Chancen: Wenn das Aussehen karrieretechnisch eine Rolle spielt und zugleich Frauen noch immer häufig auf ihr Äusseres reduziert werden, nährt dies Konkurrenzdenken unter Frauen. Angesichts des verzerrenden Einflusses des Aussehens auf die Karrierechancen wäre es deshalb angebracht, dass auch im Deutschsprachigen Bewerbungen ohne Foto zum Standard werden.

(Photo: FOTOLIA)