Desk-Sharing wird in grossen Firmen zum Normalfall. Was das für die Mitarbeitenden bedeutet – und wie eine solche Arbeitsumgebung auf positives Echo stösst.
Von Manuela Specker
Das Grossraumbüro war einst verhasst. Wer sein Einzel- oder Zweierbüro aufgeben musste, tat dies in der Regel mit einem Murren, denn es fühlte sich an, eines selbstverständlichen Privilegs beraubt zu werden. Heute muss froh sein, wer überhaupt seinen eigenen Schreibtisch hat: In immer mehr grossen Firmen setzt sich das sogenannte Desk-Sharing durch. Neben Banken und Versicherungen gehören auch SBB, Swisscom und Post zu den Zugpferden dieser Entwicklung. Neue Bauprojekte basieren wie selbstverständlich auf dem Desk-Sharing-Prinzip. Im Jahr 2020 zum Beispiel werden rund 1800 Mitarbeitende der SBB, die heute über fünf Standorte verteilt sind, im Komplex Wankdorf-City 2 eine neue Büroheimat finden. Nur der Schreibtisch wird eben nicht mehr ihre Heimat sein, weil ihnen in diesem Bürokomplex keine fixen Arbeitsplätze mehr zugeteilt sind.
Rein ökonomisch gesehen macht das Sinn. Untersuchungen zeigen: In grossen Firmen sind 30 bis 50 Prozent der Arbeitsplätze nicht besetzt wegen Ferienabwesenheiten, Teilzeit-Pensen, Geschäftsreisen, Krankschreibungen oder alternativer Arbeitsweisen wie Home Office, Jahresarbeitszeiten oder mobiles Arbeiten. Das Sparpotenzial ist also riesig – meistens genügt es, wenn auf zehn Mitarbeitende sieben Arbeitsplätze kommen.
Wechselnde Arbeitsplätze und somit immer wieder andere Tischnachbarn können zudem den Austausch untereinander fördern, auch mit der Führungsebene. Erfahrung und Wissen zirkulieren so besser in einem Unternehmen. Geradezu prädestiniert ist diese Arbeitsweise für projektorientierte Teams, die sich so einfach und unkompliziert je nach Bedarf immer wieder neu zusammensetzen können. Desk-Sharing muss aber in einem Unternehmen nicht zwingend für alle Abteilungen gelten. Wenn es nämlich so unflexibel gehandhabt und über alle Abteilungen hinweg aufgepfropft wird, hat das mit der Flexibilität, für das dieses Modell steht, nicht mehr viel zu tun.
Das Desk-Sharing kann einen weiteren schalen Nebengeschmack haben - vor allem dort, wo der normale Mitarbeitende an Territorium einbüssen muss, in den oberen Etagen aber das Gegenteil passiert. Mit gutem Beispiel voran geht hier die Mobiliar, wo sich das Desk-Sharing erfolgreich etablieren konnte: CEO Markus Hongler hat weder ein eigenes Büro noch einen eigenen Schreibtisch. Denn nicht zuletzt sind es die obersten Chefs, die alleine aufgrund ihrer Funktion am wenigsten an ihrem Arbeitsplatz sitzen. Dieses von oben vorgelebte Desk-Sharing hat letztlich mit Glaubwürdigkeit zu tun. Oder anders ausgedrückt: Wenn Mitarbeitende keine eigene Kaffeemaschine im Büro haben dürfen wegen „Brandgefahr“ und dasselbe für den CEO nicht gilt, verfängt auch das Argument mit der „Brandgefahr“ nicht.
Nicht zu unterschätzen ist auch das Gefühl der Heimatlosigkeit, das sich beim Wechsel von einem festen Arbeitsplatz auf das Desk-Sharing breit machen kann. Vor allem, wer es bis anhin gewohnt war, den eigenen Arbeitsplatz mit persönlichen Gegenständen zu schmücken. Bei einem Desk-Sharing geht unweigerlich Privatsphäre verloren. Also das, was bereits bei der Umstellung auf Grossraumbüros eine Befürchtung war. Die Skepsis ist verständlich: Menschen sind territoriale Wesen. Und sie sind keine Ware, die sich nach Belieben verschieben und umplatzieren lassen. Ungeschickt umgesetzt, bewirkt Desk-Sharing genau das Gegenteil: Mitarbeitende identifizieren sich weniger mit ihrem Arbeitgeber, der Teamgeist geht flöten, die Produktivität sowie die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber lässt nach.
Ob Desk-Sharing auch andere Vorteile wie Einsparungen bei Raum und Infrastruktur mit sich bringt und auf Akzeptanz stösst, hat neben der Firmenkultur vor allem damit zu tun, wie es in die Arbeitsumgebung und die Arbeitsbedingungen bei der betreffenden Firma eingebettet ist. Ist Home Office möglich? Gehören genügend mobile Endgeräte wie Laptop, Tablet und Smartphone zur Grundausstattung? Gibt es im Büro Rückzugsorte für konzentriertes Arbeiten? In so einer Umgebung kann jeder selber entscheiden, wo er gerade am produktivsten ist – und sich seinen Arbeitsplatz entsprechend aussuchen.
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