Jeder kennt das Aufschieben von Arbeit. Aber dieses Verhalten kann krankhafte Züge annehmen.
Von Manuela Specker
Eine Präsentation, die auf dem Magen liegt. Eine Abschlussarbeit, die noch fertig geschrieben werden sollte: Sind die bevorstehenden Aufgaben anstrengend, langweilig oder unangenehm, ist die Verlockung gross, sich etwas anderem zu widmen und die eigentliche Hauptaufgabe auf die lange Bank zu schieben. Oberflächlich betrachtet, könnte man dahinter pure Faulheit oder Bequemlichkeit vermuten. Und ja, wer keine Lust hat, die Steuererklärung auszufüllen und stattdessen lieber im Internet surft, ist vielleicht ganz einfach nicht motiviert.
Manche brauchen das Gefühl, unter Druck zu sein, bevor sie so richtig auf Hochtouren laufen. Naht die Deadline, sind sie dafür dank des Adrenalin-Kicks hocheffizient und erbringen sehr gute Resultate. In diesen Fällen ist das Aufschieben in der Regel unproblematisch und einfach ein Teil der eigenen Arbeitsweise. Man könnte von „strategischem Aufschieben“ sprechen.
Aber die Aufschieberitis kann krankhaften Charakter annehmen. In der Forschung ist dann von Prokrastination die Rede. Das äussert sich in einer Störung der Selbstregulation, einer Art erlerntem Verhalten: Betroffene sind nicht mehr in der Lage, kurzfristig unangenehme Aufgaben anzupacken und setzen alles daran, die Zeit mit Ersatzhandlungen zu füllen – obwohl sie es auf diese Weise verpassen, langfristig etwas Positives zu erreichen. So bringen sie sich in ernsthafte Schwierigkeiten, bis hin zum Jobverlust. Oder um beim Beispiel der Steuererklärung zu bleiben: Indem die Aufschieber diese Pflicht gänzlich sausen lassen, werden sie vom Steueramt eingeschätzt. Damit nehmen sie eine bedeutend höhere Steuerrechnung in Kauf.
Während also die einen die Kurve immer noch kriegen, liegt bei anderen eine ernsthafte Störung vor, die sich bis hin zu einer Depression auswachsen kann (Umgekehrt kann auch eine Depression die Ursache von Prokrastination sein). Die Verzögerungstaktik, die zu ständigem Scheitern und einem erhöhten Stresspegel führt, verursacht nicht nur Gewissensbisse, sondern nagt auch am Selbstwertgefühl. Manche von ihnen haben gar nie gelernt, sich auf eine Sache zu konzentrieren und sie zu Ende zu führen, sondern lassen sich immer wieder ablenken. „Wer das nicht kann, wird nicht erfolgreich sein – weder in der Schule noch im Studium und auch nicht am Arbeitsplatz“: der Psychologe Manfred Beutel spricht in der „Zeit“ deutliche Worte.
Er behandelt chronische Aufschieber und hat untersucht, was die Risikomerkmale sind, Dinge immer wieder aufzuschieben. Betroffen sind vor allem jene Menschen, die keinen Druck von oben haben und die denken, alle Zeit der Welt zu haben. Das erklärt, warum jüngere tendenziell häufiger unter Prokrastination leiden als ältere. Hinzu kommt die unterschiedliche Nutzung von Online-Medien, die bei Jüngeren ausgeprägter ist. „Eine intensive Mediennutzung ist die Ablenkungsquelle per se. Wer vor einer Arbeit sitzt und nicht weiterkommt, beschäftigt sich entsprechend anderweitig: E-Mails checken, googeln oder bei Facebook stöbern“, so Beutel. Wer durch regelmässige Arbeitszeiten einen strukturierten Tag habe, dem falle Selbstdisziplin meist auch etwas einfacher.
Die Rede ist auch von den „Schattenseiten der Freiheit“. Wer damit nicht umgehen kann und zum Prokrastinieren neigt, ist in einem Beruf mit mehr Struktur oder Kontrolle wohl besser aufgehoben. Nur eintönig und ohne Eigenverantwortung sollte die Tätigkeit nicht sein, denn dies begünstigt ebenfalls das Aufschiebe-Verhalten.
Sicher ist: Das Aufschieben ist nicht einfach eine Frage des Willens. Neuste Forschungsergebnisse zeigen, dass sogar die Erziehung eine Rolle spielen kann. So kann sich das Aufschiebeverhalten vor allem in jenen Bereichen manifestieren, in denen Eltern eine grosse Kontrolle ausübten.
Wer durch die Aufschieberei immer wieder Fristen verpasst und dadurch in berufliche oder finanzielle Schwierigkeiten gerät, sollte sich professionelle Hilfe holen. Ansonsten könnten folgende Tipps helfen, die Verzögerungstaktik in den Griff zu kriegen:
- Sorgen Sie für Struktur und einen geregelten Tagesablauf. Dazu gehört, einen bestimmten Zeitpunkt festzulegen, bei dem man mit der Arbeit beginnt.
- Sich die Aufgaben in kleinen Teilschritten vornehmen anstatt immer das grosse Ganze anpacken zu wollen
- Belohnen Sie sich, wenn sie so einen Teilschritt erledigt haben.
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