Der Vaterschaftsurlaub hat in der Schweiz einen schweren Stand.
Eltern sein und gleichzeitig berufstätig: In der Schweiz kommt das einer Kraftprobe gleich.
Familienfreundliche Arbeitsmodelle sähen anders aus.
Von Manuela Specker
Ein freier Tag – soviel steht einem erwerbstätigen Mann in der Schweiz von Gesetzes wegen zu, wenn er Vater wird. Dieses Ereignis hat in der Wertelandschaft der Wirtschaft eine ähnliche Bedeutung wie zügeln. Denn auch in diesem Fall dürfen die Betroffenen einen bezahlten Freitag beziehen. Alles, was über einen Tag hinaus an Vaterschaftsurlaub gewährt wird, liegt im Ermessen der einzelnen Firmen, basiert also auf Freiwilligkeit.
Die Nase vorn hat seit neustem ein vergleichsweise kleiner Betrieb, die Langzeitpflege-Institution Solina im Berner Oberland mit rund 600 Mitarbeitenden. Ab dem dritten Dienstjahr stehen Männern sechs Wochen bezahlte Ferien zu, wenn sie Vater werden. Damit überflügelt die Firma grosse Arbeitgeber wie die Migros, welche drei Wochen Vaterschaftsurlaub gewährt, oder den Bund mit zwei Wochen.
Freiwillige Lösungen sind ganz offensichtlich keine Frage der Betriebsgrösse, sondern des Willens, auch Vätern ein Recht auf Zeit mit ihren Neugeborenen zuzugestehen. Gut möglich, dass früher oder später der Wille der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gefragt sein wird - die Gewerkschaft TravailSuisse wird wohl noch diesen Frühling eine Volksinitiative für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub lancieren, nachdem das Anliegen im Parlament gescheitert war.
Die Art und Weise allerdings, wie heute mit aller Selbstverständlichkeit zwischen „Mutterschafts“- und „Vaterschaftsurlaub“ unterschieden wird, ist vielsagend: Die Schweizer Wirtschaft baut noch immer stark auf traditionellen Rollenmustern auf. Daran ändert auch ein verlängerter Vaterschaftsurlaub nichts, ob er nun zehn Tage oder vier Wochen beträgt. Für ein Modell, das die Bezeichnung „familienfreundlich“ verdient, müsste ein Modell wie in Schweden her, wo von „Elternzeit“ die Rede ist: Dort können Eltern insgesamt 16 Monate Elterngeld beziehen und sich in dieser Zeit um ihr Kind kümmern. Je 2 Monate stehen beiden Elternteilen zu, den Rest können sie frei unter sich aufteilen. Für die ersten 390 Tage erhalten die Eltern 80 Prozent des Bruttolohnes, danach während 90 Tagen rund 60 Euro pro Tag. In einem Land wie der Schweiz, wo nicht einmal ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub eine Chance im Parlament hat, ist so ein Modell gegenwärtig undenkbar. Das hat natürlich auch mit einem unterschiedlichen Staatsverständnis zu tun, weshalb es etwas einfältig wäre, Schweden vorschnell als progressiv und die Schweiz als rückständig zu sehen.
Die Schlagzeilen aber, die der Schweiz Anfang Jahr in der „Süddeutschen Zeitung“ zuteil wurden, sollten nachdenklich stimmen – auch im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit und Anziehungskraft für Hochqualifizierte aus dem Ausland. In den vergangenen Jahren sei sie im Vergleich zu den Nachbarländern in eine Schieflage geraten, was familienfreundliche Arbeitsmodelle angehe, lautete das Fazit. Schweden ist mit seiner „Elternzeit“ nämlich längst nicht mehr alleine. So können sich in Deutschland Mütter und Väter 14 Monate Elternzeit aufteilen – und immer mehr machen davon Gebrauch. In der Schweiz hingegen ist als Mann bereits privilegiert, wer bei Vaterschaft eine Woche bezahlt frei kriegt. Diese auf traditionellen Rollenmustern basierten Lösungen ziehen sich fort: Wer als Mann sein Arbeitspensum dauerhaft reduzieren möchte, um seiner Rolle als Vater gerecht zu werden, stösst oft auf Unverständnis.
Die Zeitung zitiert eine Schwedin, die seit sieben Jahren in der Schweiz lebt und zwei Söhne im Alter von zwei und vier Jahren hat. Der Arbeitsmarkt sei in Schweden viel flexibler. „Es ist klar, dass sowohl Mütter als auch Väter in ihre Karrieren und ihre Familien investieren“.
So gesehen sind die Diskussionen um den Vaterschaftsurlaub in der Schweiz auch ein Symptom der noch immer selbstverständlich vorherrschenden Geschlechterrollen. Manche Paare mögen sich etwas anderes vornehmen – die vielerorts fehlenden familienfreundlichen Arbeitsmodelle machen ihnen aber einen Strich durch die Rechnung. So kommt die Autorin in der „Süddeutschen Zeitung“ zum Schluss: „Karriere und Familie zu vereinbaren, ist in der Schweiz ein Luxus, den sich nur wenige leisten können.“ Wie sehr Strukturen das eigene Verhalten prägen, zeigt das Beispiel Deutschland: Vor 10 Jahren machten nur gerade 3,5 Prozent der Männer von der Elternzeit Gebrauch. Heute kehren die meisten für mindestens zwei Monate dem Job den Rücken.
Neben familienfreundlichen Arbeitgebern braucht es aber auch Mütter, die Vätern diese Rolle zugestehen. Das zeigen Untersuchungen des Forschungsverbundes „Central European Network on Fatherhood“ (Cenof), der sich seit Anfang 2013 mit dem Thema Vaterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzt. Die Psychologin Lieselotte Ahnert, die das Projekt leitet, spricht vom „mütterlichen Gatekeeping“: Das ist der Fall, wenn die Frauen nach der Geburt alles an sich reissen und den Mann ständig zurecht weisen, weil sie meinen, alles besser zu wissen und aufgrund des Stillens eine engere Beziehung zum Kind zu haben. Die heutigen Regelungen zum Mutterschafts- und zum nahezu inexistenten Vaterschaftsurlaub begünstigen zweifellos ein solches Verhalten.
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