Besser ehrliche Kritik als falsches Lob: Wie Firmen die Feedback-Kultur verbessern
Kritik kennt meist eine Richtung: von oben nach unten. Dabei liegt es im Interesse der Firmen, wenn sich Vorgesetzte dem Feedback ihrer Mitarbeitenden stellen. Das braucht Übung – und Charakter.
Von Manuela Specker
Der Unternehmensberater Georg Kraus weiss, wie schwer es vielen Vorgesetzten fällt, Kritik von Mitarbeitenden zu akzeptieren. Er berichtet von einem Chef, der sich bei ihm darüber beklagte, regelmässig von einem Mitarbeiter in Frage gestellt zu werden. Dies nehme ihm zunehmend die Lust an der Zusammenarbeit mit dem ansonsten guten Mitarbeiter.
Anstatt den Vorgesetzten in seinem Ärger zu bestätigen, bricht Georg Kraus eine Lanze für den Kritiker: "Freuen Sie sich doch, dass der Mitarbeiter seine Einwände und Bedenken so offen artikuliert.“ Denn in aller Regel würde dazu der Mut fehlen. Stattdessen beklagen sie sich hinterrücks über ihre Vorgesetzen. Ähnlich argumentiert Werner Katzengruber, Kommunikationsberater und Verhaltenstrainer: „Führungskräfte werden sowieso permanent durch ihre Mitarbeitenden beurteilt – das findet hinter ihrem Rücken statt.“
Es ist also für beide Seiten von Vorteil, wenn eine offene Kritikkultur gelebt wird. Denn einem Vorgesetzten, der sich gegen kritische Worte seitens der Mitarbeitenden sperrt, mangelt es ganz offensichtlich an Selbstvertrauen. Solche Führungskräfte würden meist einem Herrschaftsdenken unterliegen, das keinerlei Bezug zur Realität habe. „Sie fühlen sich aufgrund ihrer Amtsautorität den Mitarbeitenden überlegen und erkennen nicht, dass dieses Verhalten ein deutliches Zeichen von Schwäche ist“, meint Katzengruber.
Ein Abbild davon, wie schlecht es um die Feedback-Kultur in vielen Unternehmen steht, ist die Umfrage des Jobportals karriere.at unter knapp 550 Usern: 44 Prozent der Arbeitnehmer gaben an, dass niemand im Unternehmen Kritik am eigenen Chef wagt. Ein weiteres Drittel (33 Prozent) macht die Erfahrung, dass der Vorgesetzte lediglich konstruktive Kritik von Vertrauten zulässt. Rund jeder Siebte (16 Prozent) berichtet von Führungskräften, die „eher gut“ auf geäußerte Kritik reagieren, wenn diese auf fachlicher Ebene stattfindet. Nur ein paar wenige gaben als Antwort: „Sehr gut. Er/sie hinterfragt seine eigene Leistung.“
„Kritik an Führungskräften birgt für Mitarbeiter immer ein gewisses Risiko, die eigene Position zu schwächen – gerade in Unternehmen mit stark ausgeprägten Hierarchien. Daher halten viele Arbeitnehmer ihr Feedback an die Führungsebene zurück, selbst wenn dieses objektiv zur Verbesserung der Produktivität beitragen würde“, kommentiert Jürgen Smid, Geschäftsführer von karriere.at.
Viele Chefs sehen ihre Autorität in Gefahr, wenn sie offen Kritik zulassen. Dabei ist es genau umgekehrt: Starke Führungskräfte können Kritik annehmen. Auch Ernst Pöppel, einer der führenden Hirnforscher Deutschlands, plädiert in seinem Buch über „Dummheit“ für eine offene Kritik-Kultur. Ingenieure oder Handwerker mit Detailwissen zum Beispiel dürfen keine Angst haben, ihren Chef fachlich zu korrigieren, wenn es sein müsse. „So werden uns Schieflagen schneller bewusst, und wir sind fähig, ihnen entgegenzusteuern und auf andere zu hören.“
Eine offene Feedback-Kultur ist nur schon deshalb lohnenswert für Führungskräfte, weil sie dadurch die latente Gefahr bannen, sich selber zu überschätzen. In einem Umfeld, in dem sie selber Kritik annehmen, fällt es ihnen zudem leichter, auch die Mitarbeitenden glaubwürdig zu kritisieren. Verbreiteter ist aber nach wie vor das Verhalten, sich durch falsches Lob anlügen zu lassen anstatt an konstruktiver Kritik zu wachsen. Wie also lassen sich Mitarbeitende dazu bringen, offen ihre Meinung zu sagen? Zum einen darf es keine Sanktionen geben. Wer kritisiert, darf nicht dafür bestraft werden. Zum anderen sollten Mitarbeitende aktiv dazu aufgefordert werden, ihre Sicht der Dinge zu schildern.
Natürlich müssen sich Vorgesetzte nicht alles gefallen lassen. Geht es in der Kritik wirklich um die Sache, oder spielt jemand auf die Person? Entscheidend ist, welche Absichten der Kritisierende hat, und ob er über die notwendigen Kompetenzen verfügt. Sind diese Voraussetzungen gegeben und schenken Führungskräfte solchen Mitarbeitenden ein offenes Ohr, machen sie sich selber einen grossen Gefallen, da sie wie bereits angetönt schneller auf Fehlentwicklungen aufmerksam werden und entsprechend Gegensteuer geben können.
Eine gute Führungskraft zeichnet sich also durch das Bewusstsein aus, dass die Mitarbeitenden in ihren speziellen Gebieten und besonderen Aufgaben ebenfalls ein Fachwissen besitzen und wahrscheinlich sogar besser in der Materie zuhause sind. „Ein guter Leader hat vor diesen besonderen Tätigkeiten und dem Detailwissen seiner Mitarbeitenden Respekt“, so Ernst Pöppel.
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